Natürlich muss man sich von den daheimgebliebenen den Vorwurf gefallen lassen, vielleicht ein erhöhtes Risiko auf dieser Route eingegangen zu sein. Das mag stimmen, aber denen kann gesagt werden: Das ganze Leben ist ein einziges Risiko. In Indien mag der Verkehr tödlicher sein und in Pakistan ist es die Sicherheitslage. Trotzdem haben wir uns immer an die Anweisungen der Behörden gehalten, von unserer Seite alles getan um das Risiko vertretbar klein zu halten.
Es hätte zwar noch andere Routenoptionen für uns in Richtung Südostasien über Land gegeben, die aber zu teuer oder weniger praktikabel waren. Trotzdem habe ich sie aufgeführt und jeder kann selbst entscheiden was er denn gemacht hätte.
Als Alternativroute über Land hätte man vom Iran kommend, über vier weitere Staaten diese "heiße Gegend" nach Norden über Turkmenistan, Usbekistan, Kirgisistan, China, Nord- Pakistan (Karakorum Highway) umfahren können. Aber, aber !!!! Dieser Teil umfasst die China Durchquerung. Für die Volksrepublik muss man mit dem eigenen Fahrzeug einen chinesischen Führerschein machen, -erkennen den Europäischen nicht an- dann muss man einen horrend teurem Guide bezahlen. Dieser schaut das man nicht vom rechten Weg abkommt, ist immer dabei damit man nicht womöglich Gegenden sieht die China nicht gerne nach außen kommuniziert haben möchte. Hat dann auch nur noch wenig von Individualreise. Schlussendlich soll der ganze Papierkrieg für Genehmigungen diesbezüglich eine unglaublich zeitfressende, nervende, teure Aufgabe sein. Irgendwie genau das wofür man eigentlich nicht losgezogen ist.
Bleibt die zweite Alternative nach Dubai zu verschiffen und von dort mit der Fähre nach Indien z.B. Mumbai überzusetzen. Diese Kosten waren nicht minder gering und schienen uns jedoch der am meisten gewählte Weg, wie wir damals im Silk Road Hotel in Yazd/Iran von anderen Fahrzeugreisenden mitbekamen. Damit wäre jedoch auch der relativ sichere und imposante Nordteil von Pakistan mit Karakorum Highway (Nanga Parbat, K2, Rakaposhi) flach gefallen. Irgendwie alles keine tolle Alternative aus unserer Sicht, wollten wir doch möglichst unkompliziert über Land reisen und die Feinheiten im Wechsel der Länder und Regionen genau so riechen wie wir ihn sehen, begreifen und erfahren wollten.
Im Nachhinein war Belutschistan somit eine unglaublich anstrengende aber intensive Erfahrung. In den letzten Jahren ist die Sicherheitslage hier kontinuierlich von Jahr zu Jahr immer schlechter geworden. Niemals zuvor hatte ich über einen so langen Zeitraum Beklemmungen und Routenzweifel gehabt. Das Spektrum reicht hier von permanenten Dauerunbehagen (man weiß nie wer einen hinter der nächsten Kurve erwartet) bis zu extremen Stresslevel, wenn man wiedermal auf einen schwerbewaffneten Checkpoint zufährt, wo man sich nicht sicher ist, ob das jetzt die Guten oder die Bösen sind?
Vielleicht lag das auch daran, das ich mich teilweise verantwortlich für Lebensgefährtin und Mitreisenden fühlte. Trotzdem versuchte ich immer Kontrolle über die Situation zu behalten, Selbstsicher aufzutreten und damit nach "aussen" sichtbar Schlagfertigkeit zu demonstrieren. Mehr konnte man hier nicht tun.
Man kann jedoch auch beobachten, das der Mensch sich auch solchen Situationen anpassen kann. Irgendwann gewöhnt man sich zumindest ein wenig an diesen Zustand und stumpft ab. Die kriegsähnlichen Zustände werden irgendwann anscheinend auch zum Alltag. Ja man entspannt sogar, wenn man versucht die Situation einfach mehr als gegeben anzunehmen.
Sicherlich trägt zum Selbstverständnis einer Waffe bei nahezu jedem auch noch dazu bei, dass man in den sehr traditionell geprägten Gebieten der Pashtunen und Belutschen eine Waffe schon als Statussymbol mit sich herumträgt. Diese gehören zum Alltagsbild schon seit Jahrhunderten dazu. Es ist also wieder mal alles relativ. Trotzdem kann ich die Strecke zur Zeit nicht guten Gewissens empfehlen. Sicherlich tut Pakistan oder besser die Levies die ihren Kopf hinhalten alles um die Sicherheit zu gewährleisten. Ob das im Ernstfall immer genug ist, sei mal dahin gestellt. Von daher ist diese Strecke definitv "AUF EIGENE GEFAHR", mit allen Konsequenzen, darüber sollte man sich immer im klaren sein. Zwischenzeitlich wurde diese, nach dem Zwischenfall mit dem Spanier, sogar komplett für Ausländer gesperrt.
Was als Gegenpol zur Sicherheitslage stand war, dass alle Menschen in Pakistan (auch in Belutschistan) immer extrem freundlich und hilfsbereit waren. Diese Freundlichkeit bügelte so einiges wieder glatt. Ohne dies wäre es sicherlich noch sehr viel unangenehmer gewesen. Selbst in der absurdesten Situation, dem größten Chaos hatten die Leute immer ein Lächeln im Gesicht und man konnte einfach nicht mehr richtig sauer auf das aktuelle Problem sein. Das war wohl auch die unnachahmliche, pakistanische Art, die wir in den Monaten noch schätzen lernen sollten. Immer wurde man wie ein Stargast behandelt. Zugegeben trotz so langer Reisezeit immer noch sehr ungewohnt für uns. Jeder wollte deine Geschichte hören.
Ich glaube wenn wir wieder mal nach Deutschland kommen, müssen wir uns erst mal einige Zeit an die Rolle des Motoradfahrers der mit völliger Bedeutungslosigkeit gestraft wird gewöhnen. Niemand mehr der freudig die Arme hochreißt, hinter einem her ruft, Kinder die bei unsere Sichtung mit den Maschinen freudig ein Wettrennen aufnehmen, Hände die man am Straßenrand im Vorbeifahren abklatschen soll und die große Freude danach wenn es geklappt hat, Halbstarke und Soldaten die einen ständig bei der Vorbeifahrt mit Gesten auffordern nun endlich den Bock hochzureißen und einmal einen gescheiten "Wheelie" zu präsentieren. Das passiert nun wirklich nicht nur manchmal, sondern eher ständig und immer. Sicherlich kann so etwas auch mal beim Anhalten, bezüglich dauernder Beantwortung von tausendfach den gleichen Fragen, mal anstrengend und lästig werden, aber macht es einem doch auch sofort wieder klar das so eine Reise etwas ganz besonderes ist und welches Glück man hat diese zu erleben.
Welche Freude man bei Menschen mit seiner purer Anwesenheit erreichen kann, weil man einfach anders ist, wurde uns hier so richtig bewusst. Irgendwie schon etwas besonderes, wird man doch sehr selten Leute auf der Welt treffen, die diese Strecke heutzutage selber erfahren haben. Später stellten wir fest, das dies auch für die meisten Pakistanis der anderen Provinzen gelten sollte. Immer wieder wurden wir gefragt wie es denn dort gewesen sei, denn auch sie würden dort nur im äußersten Notfall hinreisen, zu groß sei aktuell die Gefahr.
Nun waren wir zumindest gespannt auf das weitere "normalere" Pakistan.
Dieser Bericht ist zugegeben diesmal lang geworden, um mal ganz freundlich zu untertreiben. Sicherlich bleibt dies eine absolute Ausnahme, jedoch wollte ich wenigstens ein bisschen mehr in die Tiefe gehen, um vielleicht detaillierter zu vermitteln was Fernreisen mit dem Motorrad auch bedeuten kann. Somit muss alles weitere zu Pakistantour, inklusive unserer Promi Hochzeit in Lahore, soziale Arbeit und Spendenaktion in Roshni, die unendliche Geschichte eines Getriebeschadens und unsere Fahrt auf dem Karakorum Highway dann erst im Teil 2 des Pakistan Berichts erfolgen.